Liebe und Wahrheit
Im Laufe des Lebens kommt man als denkender und fühlender Mensch immer wieder an den Punkt, wo es notwendig und wichtig wird, sich über die Beschaffenheit und Sinnhaftigkeit des Daseins Gedanken zu machen. Viele Philosophen von der Antike bis heute haben sich mit dieser Frage beschäftigt. Auch Raimund Fellner, ein Philosoph auf der Suche nach Weisheit, hat in seinem Büchlein „Freie Liebe und Wahrheit – die Philosophie der Rückfindung“, erschienen 2014 im Raimund Fellner Verlag, wichtige Fragen versucht, Antworten zu finden.
Seiner sogenannten Eidolon-Philosophie nach gibt es für jeden Menschen genau ein menschliches Wesen des anderen Geschlechts, mit dem die reziprok-korrelative wahre Liebe erlebt werden kann. Gemeint ist hier „das erste und zugleich einzige Erlebnis einer die ganze menschliche Existenz umfassenden Liebe“. In diversen volksmündigen Aussagen ist genau diese Erfahrung verankert. Sätze wie „Liebe auf den ersten Blick“, „es gibt nur eine wahre Liebe“ oder die Idee des einen Seelenverwandten zielen auf dieses Erlebnis ab. Da der Mensch aber ein schuldhaftes Wesen ist, irrt er von dieser einzigen Liebe ab, möchte mit anderen Sexualpartnern Erfahrungen machen. Die wenigstens Menschen glauben uneingeschränkt daran, die eine große Liebe tatsächlich gefunden zu haben, selbst dann nicht, wenn sie es tief im Inneren eigentlich fühlen. Zweifeln ist urmenschlich. Auf dem Weg der (zumeist unbewussten) Abirrung wird der Mensch schuldig.
Raimund Fellner führt den Lesenden durch verschiedene Aspekte der Liebe, so etwa schreibt er über die erotische Liebe, die freie Liebe, echte und unechte Liebe. Immer wieder führt die Liebe zu Gott, denn Gott ist nach seiner Philosophie die Liebe.
Eng verbunden mit der Liebe ist die Freiheit und damit die freie Liebe. Von diesem Punkt ausgehend erörtert er seine Philosophie zur Freiheit. Hier erfährt der Lesende einiges über innere und äußere Freiheit.
Raimund Fellner gelingt es, in diesem kleinen, aber intensiven Werk ein rundes philosophisches Bild zum Thema Liebe, Wahrheit, Freiheit und Gott zu zeichnen.
Aber es tun sich auch Fragen auf, die in dieser Philosophie noch Beachtung finden könnten. So erschließt sich mir als Leserin nicht, ob diese eine große Liebe der erste Mensch ist, den man je geliebt hat und ich frage mich, ob diese erste Liebe denn tatsächlich diese einzigartige Liebe sein muss, oder ob man sein Leben lang sozusagen abirren kann von etwas, was man noch gar nicht gefunden hat oder noch sucht. Weiterhin hat die Theorie durchaus altmodische oder traditionelle Züge. Es ist die Rede von der Zusammengehörigkeit eines männlichen mit einem weiblichen Wesen als „große Liebe“. Im Zuge der Diskussionen um gleichgeschlechtliche Liebe mag das ein eher einseitiger Blick auf die Liebe sein. Viel Wert legt Raimund Fellner auch auf die erotische Liebe zwischen Mann und Frau, und dass genau hier die Göttlichkeit der Liebe offensichtlich wird. Ich denke, dass andere Erfahrungen durchaus auch eine Erwähnung verdient hätten. Nicht jeder findet genau hier seine größte Erfüllung.
Ein wenig eigentümlich wirkt in diesem philosophischen und damit durchaus allgemeingültigen Werk die immer wieder vorkommende Erwähnung seiner eigenen Geschichte, seiner Liebe zu „Bea“, seinem Idol. Ich denke, dass es dem Werk besser getan hätte, diese Erfahrungen zum Entwickeln der Theorie im Hintergrund und als Basis gehabt zu haben, aber nicht unbedingt zu erwähnen. Das Ziel ist doch eine universelle Philosophie, die abseits eigener Erfahrungen Gültigkeit findet. Dadurch verliert das Werk an manchen Stellen die Eigenschaft eines theoretischen Ansatzes und geht zu sehr ins Persönliche.
Ungeachtet dessen erhält der Lesende ein in sich stimmiges und sehr interessantes Bild über Liebe, Freiheit, Wahrheit und Gott.